Graffiti ist weit mehr als nur eine Form des Vandalismus – es ist eine vielseitige Kunstform mit einer reichen Geschichte und einer Vielzahl von Styles. Von den schnell gesprühten Signaturen, den sogenannten Tags, bis hin zu den komplexen, unlesbaren Kunstwerken des Wildstyles: Jeder Stil erzählt eine eigene Geschichte und erfordert einzigartige Fähigkeiten. In diesem Guide tauchen wir tief in die Welt der Graffiti-Styles ein und erklären die wichtigsten Begriffe, von ihren Old School Wurzeln bis zu den modernen New School Entwicklungen, damit du die Szene und ihre beeindruckende Vielfalt wirklich verstehst.

Was ist Style-Writing? Die Basis aller Graffiti-Styles

Graffiti-Styles sind die kunstvollen Schriftzüge, die du mittlerweile nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt finden kannst. Sie sind mehr als nur Malereien; sie sind eine Form der Kommunikation, die es einem Writer ermöglicht, seine Ideen und Gedanken auf visuelle Weise auszudrücken. Style-Writing hat ihren Ursprung im Hip-Hop und der daraus hervorgegangenen Graffiti-Art, die in den 1970er Jahren in der South Bronx von New York entstand. Die Weiterentwicklung der Schrift und der Buchstaben steht hier im Vordergrund. Wenn du mehr über die kulturelle Bedeutung erfahren möchtest, lies unseren Artikel über den Einfluss der Hip-Hop-Kultur auf Graffiti. Das Ziel von Graffiti-Künstlern ist es, über Jahre ihren eigenen, einzigartigen Stil (Style) zu finden.

Old School Style: Die Anfänge des Graffiti-Writing

Der Old School Style bezieht sich auf die ursprünglichen Stile und Techniken, die in den 1970er und 1980er Jahren in New York City entstanden sind. Charakteristisch für diese Ära sind einfachere, aber kraftvolle Letterforms wie der klassische Blockbuster und der Bubble-Style. Es wurde vor allem Wert auf klare Lesbarkeit und die Präsenz des Tags gelegt. Die Farbwahl war oft auf leuchtende, primäre Farben beschränkt. Dieser Stil ist das Fundament, auf dem die gesamte Graffiti-Kultur aufgebaut wurde und das bis heute von vielen Writern als Zeichen des Respekts vor der Geschichte der Kunstform zelebriert wird.

eine der ersten und ältesten Graffiti-Agenturen Deutschlands sind wir seit 1997. In unseren vielen Graffiti-Workshops haben wir Tausende von Schülern durch die verschiedenen Stile geführt und ihr Können aufgebaut. Unsere Erfahrung fließt in jeden unserer Guides ein. Mehr über die Abgrenzung zwischen Graffiti, Street Art und Urban Art erfährst du in unserem Fachartikel.

 

New School Style: Evolution und technische Innovation

Die New School-Ära begann in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Sie steht für die Weiterentwicklung und Verfeinerung der Old School-Techniken. New School-Styles sind oft komplexer, detaillierter und technischer. Hier finden sich Stile wie der Wildstyle, 3D-Styles und Charaktere, die die Grenzen der Lesbarkeit bewusst überschreiten und mit visuellen Effekten spielen. Die Künstler begannen, eine breitere Farbpalette und fortschrittliche Techniken wie Licht- und Schattenspiele zu verwenden. Der New School Style ist geprägt von Individualität, technischer Finesse und der Integration von Elementen aus Comics, Popkultur und Grafikdesign.

Die häufigsten Graffiti-Stile, geordnet nach Schwierigkeit

Von den klassischen Wurzeln bis zu den modernen Innovationen – die Vielfalt der Graffiti-Styles ist beeindruckend. Hier haben wir die wichtigsten und bekanntesten für dich zusammengefasst und nach dem Schwierigkeitsgrad geordnet.

 

1. Graffiti Tag: Die Visitenkarte eines Writers (Einfach)

Der Tag (gesprochen: teck) ist die einfachste und ursprünglichste Form des Graffiti-Writings. Er dient als Unterschrift oder Name des Künstlers, ähnlich wie eine Visitenkarte. Es handelt sich dabei nicht um ein Namenskürzel, sondern um den eigentlichen Namen des Writers in einer stilisierten Schrift. Die ersten Graffiti-Tags von Taki 183 fand man in den Straßen von New York. Tags einer Crew sind oft gruppenintern bekannte Abkürzungen. Das Tag ist der Dreh- und Angelpunkt, denn jeder nachfolgende Stil ist meist eine Ausarbeitung dieses ursprünglichen Namens. Auch weibliche Künstlerinnen haben übrigens einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung dieser Graffiti-Formen.

2. Bubble-Style: Einfach, rund, ikonisch (Einfach)

Der Bubble-Style gehört zu den populärsten Graffiti-Styles. Die Buchstaben sind rund und ballonförmig, weshalb sie oft für schnelle, unsaubere Throw-ups verwendet werden. Man kann sich diese Buchstaben wie aufgeblasene Luftballons in speziellen Formen vorstellen. Neben dem Tagging ist dies wohl die am häufigsten verwendete Stilrichtung im Writing.

3. Throw-Up: Das schnelle, auffällige Graffiti (Leicht bis Mittelschwer)

Übersetzt bedeutet Throw-Up „das Raufgeworfene“, und genauso werden diese Styles angebracht: in möglichst kurzer Zeit. Das Graffiti-Tag (der Name) soll in möglichst auffälliger und großer Form an einer Wand platziert werden. Aus Zeitgründen wird dabei auf eine saubere Füllung (Fill-In) verzichtet und das Wort nur mit einer dicken Konturlinie (Outline) grob skizziert. Innerhalb der Throw-Ups gibt es Untergruppen wie den Schraffo, bei dem nur schraffiert gefüllt wird, oder den Outliner (Hollow), der nur aus der Outline besteht.

4. Blockbuster: Groß, eckig, lesbar (Mittelschwer)

Im Gegensatz zum Tag zeichnet sich ein Blockbuster durch große, eckige, „blockige“ Buchstaben aus, die in der Regel gut lesbar sind. Ihre Einfachheit macht sie zu einer beliebten Wahl für sogenannte Bombings, also großflächige, schnelle Spray-Aktionen. Writer verwenden Blockbuster, um ihren Graffiti-Namen an so vielen Stellen wie möglich groß zu platzieren und ein Statement abzugeben. Diese Art von Graffiti-Style kann als eine Erweiterung der traditionellen Blockbuchstaben gesehen werden, die jedoch in einem viel größeren Maßstab gemalt werden.

5. Simple Style: Der Übergang zum komplexen Graffiti (Mittelschwer)

Der Simple Style ist eine wichtige Übergangsform zwischen den sehr einfachen Stilen und den komplexen Wildstyles. Er behält die Lesbarkeit der Buchstaben bei, integriert aber bereits erste dynamische Elemente und Verzierungen. Im Gegensatz zum Bubble-Style sind die Buchstaben klarer definiert, jedoch noch nicht so stark verschlungen, dass sie unleserlich werden. Dieser Stil ist ideal für Anfänger, die ihre Techniken weiterentwickeln und einen individuelleren Ausdruck finden möchten, bevor sie sich an die wirklich komplizierten Stile wagen.

 

6. Semi-Wildstyle: Die Brücke zwischen Lesbarkeit und Kunst (Schwer)

Der Semi-Wildstyle ist eine Brücke zwischen Lesbarkeit und künstlerischer Freiheit. Er ist eine zugänglichere Version des komplexen Wildstyles, bei der die Grundform der Buchstaben erhalten bleibt, jedoch auf kreative und stilisierte Weise interpretiert wird. Dynamische Gestaltung und Elemente wie Verzierungen und Bubbles sind typisch. Buchstaben können ineinander übergehen oder sich überlappen. Trotz seiner Komplexität steht der Künstlername weiterhin im Mittelpunkt. Dieser Stil unterstreicht die Individualität und die kontinuierliche Innovation innerhalb der Graffiti-Kunst.

7. Wildstyle: Die Kunst der Unlesbarkeit (Sehr Schwer)

Der Wildstyle ist eine hochkomplexe und fortgeschrittene Graffiti-Form, die die Grenzen der Lesbarkeit bewusst überschreitet. Charakteristisch sind extrem verschlungene, verzerrte und verflochtene Buchstaben, die für Ungeübte oft unlesbar sind. Die Buchstaben können sich nicht mehr eindeutig von den Stilelementen trennen. Zusätzliche Elemente wie Pfeile und Sterne verleihen dem Kunstwerk Tiefe und Dynamik. Diese Unlesbarkeit und "Wildheit" gibt dem Stil seinen Namen. Ein echtes Meisterwerk, das jahrelange Übung erfordert.

8. 3D-Style: Räumliche Kunst mit Tiefe (Sehr Schwer)

Ein 3D-Style ist im Prinzip leicht zu erklären, aber schwer zu erlernen. Alle Styles, die absichtlich dreidimensional wirken und dies nicht nur durch einfache 3D-Blöcke erreichen, werden als 3D-Styles bezeichnet. Räumliche Tiefe und imaginäre Lichtquellen werden als Stilmittel genutzt, um realistische dreidimensionale Buchstabenkonstruktionen zu schaffen. Durch weitere Stilelemente wie Pfeile entsteht eine Dynamik und gezielte Bildführung. Je nach Komplexität können diese Buchstaben leicht bis schwer zu lesen sein.

Sonderformen: Charaktere und Stencils

Um einem Graffiti-Style noch mehr Wirkung zu verleihen, sind Charaktere (Figuren) ein beliebtes Mittel. Seit den Anfängen der Graffiti-Szene haben Artists ihren Styles diese unverwechselbaren Figuren hinzugefügt. Sie können Zwerge, Monster, Menschen, Feen oder Dosen mit Gesichtern sein. Fast. Wenn die Darstellung fotorealistisch wird, spricht man nicht mehr von Graffiti-Characters. Stile für Charaktere sind so vielfältig wie Comic-Zeichnungen und reichen von Strichmännchen bis hin zu dreidimensional wirkenden Figuren. Charaktere sind oft Karikaturen ähnlich und stellen bestimmte Sachverhalte in einem Piece überspitzt dar, um dessen Sinn zu verdeutlichen.

Eine weitere Sonderform ist das Stencil-Graffiti, das seinen Ursprung in der Street-Art hat und stark von Künstlern wie Blek le Rat und Banksy beeinflusst wurde.

Anti-Style / Ill-Style: Die bewusste Rebellion gegen Perfektion

Der Anti-Style, auch als Ill-Style bekannt, ist eine bewusste Abkehr von den traditionellen Normen des Graffiti. Dieser Stil widersetzt sich der Lesbarkeit und den kunstvollen Regeln, die andere Stile definieren. Oft wirkt er roh, ungeschult oder sogar amateurhaft. Während unerfahrene Writer ihre unausgereiften Werke manchmal als "Anti-Style" deklarieren, um mangelnde Technik zu rechtfertigen, ist der wahre Anti-Style eine gezielte künstlerische Entscheidung. Er ist eine Rebellion gegen die etablierten Standards innerhalb der Szene und stellt die Frage, was Kunst und was Vandalismus ist. Dieser Stil wird selten absichtlich verwendet, aber wenn er es wird, ist es eine kraftvolle Form des Ausdrucks.

Häufig gestellte Fragen (FAQs) zu Graffiti-Styles

Hier beantworten wir einige der wichtigsten Fragen rund um die Welt der Graffiti-Stile und -Terminologie, die du in der Szene häufig hören wirst.

Was ist ein „Silverpiece“?

Ein Silverpiece ist ein Graffiti, dessen Buchstaben mit Chrom- oder Silberlack ausgefüllt sind. Dies erzeugt einen besonderen, glänzenden Look, der vor allem bei Tageslicht stark reflektiert. Silverpieces werden oft in Kombination mit einer schwarzen Outline verwendet, um einen starken Kontrast zu schaffen und das Werk hervorzuheben. Sie sind eine beliebte Wahl für Blockbuster und Throw-ups, da sie schnell gesprüht werden können und eine maximale visuelle Wirkung erzielen.

Was bedeuten „Wholecar“ und „Wholetrain“?

Diese Begriffe beschreiben die Größe und den Umfang eines Graffiti-Projekts auf Zügen. Ein Wholecar ist ein einzelner Waggon, der von Anfang bis Ende komplett bemalt wurde – also von allen Fenstern, Türen und der Fläche zwischen den Rädern. Ein Wholetrain ist die Königsdisziplin und bezeichnet einen kompletten Zug, bei dem alle Waggons von den Writer:innen bemalt wurden. Diese Werke sind in der Szene hoch angesehen, da sie ein enormes Maß an Planung, Koordination und Risiko erfordern.

Weiterführende Teile unseres Graffiti-Guides

Hier findest du die weiterführenden Teile zu unserem 15 Punkte Guide.

Weitere Ressourcen und Teile unseres Guides

 

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